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Kurzgeschichten und Gedichte

Kurzgeschichte

12:07 – Gefangen in der Zeit

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Kapitel 1: Das Unerwartete

Herr Maier, ein eher unscheinbarer Mann in seinen mittleren Jahren, führte ein recht monotones Leben. Jeden Tag dieselbe Strecke zur Arbeit, dasselbe langweilige Mittagessen und abends die unvermeidliche Stille in seiner einsamen Wohnung. Es schien, als würde sich nichts an diesem trostlosen Rhythmus ändern – bis zu jenem grauen Mittwoch, der alles durcheinander brachte.

Auf seinem üblichen Weg ins Büro entdeckte er plötzlich etwas Ungewöhnliches auf dem Gehweg: Eine alte Taschenuhr aus Bronze, die wie aus dem Nichts dort lag. Ohne groß nachzudenken, hob er sie auf. Die Zeiger standen merkwürdigerweise still – genau auf 12:07 Uhr. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter.

Plötzlich drang eine raue Stimme an sein Ohr: «Sie sollten vorsichtiger sein mit dem, was Sie aufheben.» Erschrocken drehte sich Herr Maier um und sah einen alten Mann, der ihn mit düsteren Augen unter einem zerlumpten Mantel hervormusterte.

«Was meinen Sie?» fragte Herr Maier verwirrt, doch als er sich genauer umsah, war der Fremde spurlos verschwunden.

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Kapitel 2: Die seltsame Veränderung

Als Herr Maier die alte Taschenuhr in seine Tasche steckte, konnte er das komische Gefühl, das ihn überkam, nicht loswerden. Es war, als hätte er etwas Unheimliches mit sich herumzutragen. Den ganzen Tag über spürte er diese unsichtbare Last, die ihn irgendwie belastete. Im Büro lief alles wie sonst – und doch fühlte sich die Zeit anders an.

Sein Blick fiel immer wieder auf die Uhr an seinem Handgelenk. Der Sekundenzeiger bewegte sich langsamer, fast träge. Die Minuten krochen dahin, als hätten sie plötzlich ihre Eile verloren. Seine Kollegen gingen ihrem Alltag nach, aber Herr Maier konnte sich nicht mehr auf seine Arbeit konzentrieren. Etwas stimmte nicht, aber er konnte nicht genau sagen, was es war.

«Vielleicht solltest du mal eine kleine Pause einlegen», meinte Frau Müller, seine Kollegin, als sie an seinem Schreibtisch vorbeikam und ihn mit einem fragenden Blick ansah.

«Ja, das... das wäre wohl eine gute Idee», murmelte er, mehr zu sich selbst als zu ihr. Während er in seine Tasche griff, wo die bronzene Uhr immer noch lag, durchzuckte ihn plötzlich ein seltsames Kribbeln in den Fingern.

Und dann hörte er sie wieder, diese raue Stimme, die wie aus dem Nichts kam: «Es hat begonnen.» Erschrocken fuhr er hoch und sah sich hektisch um. Aber da war niemand – kein alter Mann, nichts Ungewöhnliches, nur das stille Büro.

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Kapitel 3: Der Strudel der Zeit

Die Stunden im Büro zogen sich hin, doch für Herrn Maier fühlte es sich an, als wäre er in einer Art endlosem Moment gefangen. Jedes Mal, wenn er auf seine Armbanduhr sah, schienen die Zeiger langsamer als je zuvor zu ticken. Obwohl die Kollegen um ihn herum wie immer arbeiteten, wurde das Gefühl, dass die Zeit sich gegen ihn verschworen hatte, immer drückender.

Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er stand auf und verließ das Gebäude, um frische Luft zu schnappen. Doch kaum hatte er die Straße betreten, begann sich alles um ihn herum zu verändern. Die Menschen bewegten sich in quälend langsamen, fast unnatürlichen Bewegungen. Die Geräusche der Stadt – sonst so lebhaft und chaotisch – klangen gedämpft, als kämen sie aus weiter Ferne. Herr Maier blinzelte verwirrt und rieb sich die Augen, aber das Bild blieb.

Und dann, wie aus dem Nichts, stand der alte Mann wieder vor ihm. Diesmal sah er noch eindringlicher aus, seine Augen schienen durch Herrn Maier hindurch zu sehen. «Haben Sie wieder auf die Uhr geschaut?» fragte der Fremde, seine Stimme schwer und bedeutungsvoll.

Herr Maier wich zurück, das Herz schlug ihm bis zum Hals. «Was... was ist mit dieser Uhr los?» brachte er schließlich hervor, sein Kopf fühlte sich wie in Watte gepackt an, und die ganze Situation erschien ihm immer unwirklicher.

Der alte Mann trat näher, seine Haltung bedrohlich nah. Er beugte sich leicht vor und flüsterte mit einer Stimme, die einem Schauer über den Rücken jagte: «Die Zeit lässt sich nicht beherrschen. Wer es versucht, wird von ihr verschluckt.»

Und dann, genauso plötzlich, wie er aufgetaucht war, verschwand der Mann erneut – diesmal, ohne eine Spur zu hinterlassen. Doch das Gefühl der Leere, das er zurückließ, war überwältigend. Herr Maier spürte, wie ihm die Uhr in seiner Tasche plötzlich schwer auf der Seele lag, als wäre sie aus purem Blei.

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Kapitel 4: Die letzte Wahrheit

Zurück in seiner Wohnung fühlte sich Herr Maier, als würde alles um ihn herum zerbröckeln. Die Uhr in seiner Tasche war nicht mehr nur ein Gegenstand – sie schien ihm den Verstand rauben zu wollen. Er setzte sich schwer auf die Bettkante, holte tief Luft und zog die Uhr langsam heraus. Die Zeiger standen immer noch auf 12:07 Uhr, doch diesmal leuchtete sie schwach, als würde sie eine stumme Warnung aussenden.

«Was hat das alles zu bedeuten?» flüsterte Herr Maier verzweifelt in die Stille. Er erwartete keine Antwort, und dennoch kam sie – direkt in seinem Kopf, klar und kalt: «Die Zeit hat keinen Wert, wenn du sie nicht lebst. Du hast sie verschwendet, und jetzt fordert sie dich zurück.»

Ein eiskalter Schauer überlief ihn. Die Uhr in seiner Hand begann plötzlich zu vibrieren, die starren Zeiger setzten sich in Bewegung – aber nicht nach vorne. Sie drehten sich rückwärts, schneller und schneller, bis sie in einem wilden Wirbel rotierten. Die Welt um ihn herum begann sich zu verzerren, als ob die Realität selbst zerfloss.

Vor seinen Augen tauchten Bilder aus seinem Leben auf. Jeder Moment, den er achtlos verstreichen ließ, jede Chance, die er verpasst hatte, raste an ihm vorbei. Es war, als würde die Uhr ihn zwingen, alles noch einmal zu sehen – nur diesmal aus der Ferne, ohne die Möglichkeit, etwas zu ändern.

«Das ist dein Ende», flüsterte die Stimme unheilvoll. «Du hast dich in der Zeit verloren.»

Mit letzter Kraft warf Herr Maier die Uhr weg, doch es war zu spät. Die Welt um ihn herum brach zusammen, die Dunkelheit verschlang ihn. Alles um ihn wurde still – eine Leere, in der es keine Zeit mehr gab.

Die Uhr fiel auf den Boden, und mit einem letzten, dumpfen Ticken blieben die Zeiger wieder stehen – auf 12:07 Uhr.

Autor: Ralph von Mezz

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